Samstag 18.05.2019; 29 Tage vor Eutin:
Endlich!
Nach langen Wintermonaten geht es endlich los. Zusammen mit Janne habe
ich mich monatelang auf diesen Wettkampf gefreut: Der Auftakt der
zweiten Bundesliga Nord in Gütersloh. Mit großen Verbesserungen in allen
Disziplinen waren wir extrem gespannt auf diesen Tag. Was meine
Stimmung noch steigerte, war der erleichternde Umstand, dass ich meine
Abiturprüfungen endlich abgeschlossen hatte. Alles war im Grunde perfekt
gelaufen. Bis zum Laufen am Vortrag. Es werden noch Scherze gemacht,
die Stimmung ist super. Dann ist da dieser Bordstein. Auf einmal liege
ich auf der Strasse. Irgendwie realisiere ich fast sofort, dass das
gerade echt ernsthaft ist. Mein erster Gedanke: „Der Knödel wird mich
hassen, wenn er jetzt durchlaufen muss.“
Zwei Stunden später:
Nach
hitziger Diskussion mit dem Arzt der Notaufnahme des Klinikums
Gütersloh sehe ich ein, dass ich morgen nicht am Start stehen werde.
Sorry, Knödel.
Den
Wettkampftag erlebe ich von meinem Liegstuhl am Streckenrand, neben der
Freude über den Teamerfolg ist da natürlich auch große Unzufriedenheit.
Ein falscher Schritt und jetzt das.
20.05.2019:
Montag, 7:30 Uhr,
Arzttermin, man will ja keine Zeit verlieren. Die erste Vermutung des
Arztes ist ein Riss des Syndesmosebandes. Das bedeutet 3 Monate Pause
und OP. „Ok, die Saison ist gelaufen.“ , denke ich. Doch das MRT gibt
Entwarnung. Eigentlich ist nichts richtig kaputt, aber alles ist recht
mitgenommen: Kapselanriss, das Syndesmoseband ist wohl vorne teilweise
gerissen, Außenband gedehnt. Ergebnis: 4-6 Wochen bis ich wieder voll
trainieren kann.
22.05.2019 18:00 Uhr 25 Tage vor Eutin:
Warum gucken die mich alle so komisch an? Sonst bin ich doch auch immer beim Schwimmtraining...
Heute
bloß mit einem in Kinesiotape fixierten Fuß, die Schiene vom Arzt liegt
tief unten in meiner Tasche. Mit meinem Pullbuoy schwimme ich 3,2km.
Ein Anfang.
24.05.2019 23 Tage vor Eutin:
Ich
habe keine Lust mehr auf meinen Pullbuoy, zum ersten Mal schwimme ich
wieder „normal“, aber sehr langsam. Der Fuß wirkt wie ein Bremsklotz.
Doch
es sind auch erst 6 Tage seit dem Unfall vergangen. Schon jetzt gehe
ich fast wieder normal. Bei der Physiotherapie, die ich in dieser Woche
sechs Mal aufsuche, mache ich auch Fortschritte. Eigentlich gehe ich da
nur hin, weil es Kekse gibt, doch mein Fuß profitiert auch.
25.05.2019 2. Bundesliga Hannover
Krass.
Janne gewinnt. Das Team gewinnt. Aber da ist immer wieder diese
Gedanke: „Du hättest es auch draufgehabt, ein gutes Ergebnis zu
erzielen. Aber ein falscher Schritt und jetzt stehst du hier und guckst
nur zu.“ Auf der Zugfahrt nach Berlin bin ich gut gelaunt. Auch wenn es
persönlich nicht toll ist, verletzt zu sein, die Gesellschaft meiner
Teamkollegen tut mir gut. Selbst verletzt in Gütersloh haben sie meine
Laune deutlich gesteigert. Und durch den Sieg sind alle natürlich im
siebten Himmel.
In der
darauffolgenden Woche überrundet mich gefühlt jeder beim Schwimmen. Und
auch das stundenlange Fahren auf der Rolle ist nicht gut für meine
Laune. Einzige Abwechslung: Ich fahre auch einmal ein paar
K3-Intervalle. Einziges Highlight der Woche: Ich darf bei der
Physiotherapie Kekse essen.
Gelinde ausgedrückt: Ich
war echt schlecht drauf. Und auch in der nächsten Woche bin ich
zunächst nicht besser drauf. Obwohl ich extrem viel in diesen Wochen
schwimme, kann ich beim gemeinsamen Freiwasserschwimmen kein Paar Füße
halten. Das fällt natürlich allen auf. Karl Stach sagte mir nach einer
Einheit: „Ich hab mich immer wieder umgedreht um zu schauen wo du warst,
damit ich dir Wasserschatten geben kann.“ Sehr nett von ihm, aber auch
irgendwo frustrierend für mich, nicht schneller vorwärts zu kommen.
Doch
so langsam zeigt sich das Ergebnis meines Trainings auf der Rolle: Beim
Koppeln (Schwimmen/Radfahren) habe ich ordentlich „Overdruck“. Um meine
Laune hochzuhalten, schaue ich mir Videos zum Roubaix-Sieg 2016 von
Matthew Hayman an, 6 Wochen zuvor hatte er sich seinen Arm gebrochen.
Das wäre doch was. 6 Wochen nach Gütersloh ist die DM in Grimma. Klingt
fair.
14 Tage vor Eutin:
Am
2.6., zwei Wochen vor dem Wettkampf, erklärt mir Hoffi, dass ich in
Eutin starten soll. Als erklärtes Ziel für den Wettkampf galt eine
Top5-Platzierung in der Teamwertung. Aufgrund der dünnen Besetzung muss
ich ran, eigentlich nur zum Absichern.
Also wird die
Behandlungsstrategie gewechselt: Volles Risiko, um schnellstmöglich
Laufen zu können. Es klappt holprig. Ich beginne mit Läufen über einen
Kilometer, dann zwei, dann vier. Es ist alles sehr unrund, extrem
langsam und anstrengend.
Am Dienstag vor dem
Wettkampf stehe ich nachmittags dann auf der Bahn, schon das Einlaufen
macht mir die Hoffnungen auf ein gutes Rennen am Wochenende zunichte.
Bei den Tempoläufen halte ich mich an Martha, doch auch sie läuft
eigentlich zu schnell.
Erst in den letzten Tagen vor
dem Wettkampf fühle ich mich besser, beim letzten Schwimmen in Berlin
kann ich mit Maurice „Marek“ Witt mithalten.
Ein Tag vor Eutin:
Bei
angenehmen Temperaturen von rund 30 Grad geht es am Samstag nach Eutin.
Natürlich hat unser Bus keine Klimaanlage, aber solange die Musikanlage
funktioniert, bin ich zufrieden. Marek sitzt am Steuer, ich auf dem
Beifahrersitz und unsere tschechische Unterstützung Jakub Powada holt
den Schlaf der letzten Nacht nach, er musste schließlich schon um 4 Uhr morgens den Weg nach Berlin antreten.
Ein Vorteil der Abwesenheit von Teamleiter Hoffi und dessen
Gehör mit der Empfindlichkeit eines Senioren ist, dass man endlich mal
Musik mit zweifelhaften Inhalten auf voller Lautstärke hören kann. Jakub
schläft trotz alledem friedlich weiter.
Am
Wettkampfort angekommen treffen wir Nils und unseren Ultra Jürgen. Wir
führen das standardmäßige Prozedere von Streckenbesichtigung und
Lamentieren über diese, dem Einchecken ins Hotel und dem gemeinsamen
Abendessen beim Italiener durch. Zusätzlich dazu darf ich dieses Mal
auch an der Wettkampfbesprechung teilnehmen, die, wenn man alles nicht
so ernst nimmt, sehr zur Belustigung beiträgt.
Später am Abend erreicht uns noch Jonas, der Knödel, Repmann.
Am nächsten Morgen erwache ich schon kurz vor dem Wecker, was
ich aufgrund unseres knappen Zeitplans und der frühen Startzeit nicht
schlimm finde. Marek dagegen betätigt seelenruhig die Schlummer-Taste.
Somit sehe ich mich gezwungen ihn vorsichtig zu wecken, bevor wir noch
das Frühstück verpassen. Marek scheint noch sichtlich mit der frühen
Tageszeit überfordert, ein Umstand der mich sehr wundert, da er ja beim
Schwimmen auch das Anballern wie kein Zweiter beherrscht.
Direkt
nach unserer Ankunft am Wettkampfort wird bekannt gegeben, dass die
Wassertemperatur 19,2 Grad beträgt, was das Schwimmen im Neo erlaubt.
Eigentlich für unser schwimmstarkes Team ein Nachteil, ich persönlich
bin aber von der Aussicht einer verbesserten Wasserlage, die zuvor unter
meinem verletzten Fuß litt, angetan. Als sich nach dem Einschwimmen im
Wasser des Großen Eutiner Sees aufgereiht wird, geschieht etwas sehr
Typisches: Vor allem in der Mitte bewegen sich die Athleten immer weiter
nach vorne. Die Ausrichter erwidern klassisch mit „Erst wenn alle
hinter der Linie sind, wird gestartet“, was aber von allen Athleten
minder bis gar nicht ernst genommen wird, ist man doch im Besitz von
Erfahrungen aus zahlreichen Ligarennen, bei denen dennoch gestartet
wurde. 9 Minuten lang geht dieses Hin und Her, von einem Athleten am
Start als „die Rache von Norbert Aulenkamp für verspätete/unordentliche
Meldungen“ bezeichnet. Als dann bekanntgegeben wird, dass der Start sich
weiter verzögere, da die Radstrecke immer noch nicht freigegeben sei,
verlassen alle Athleten das Wasser. Bei der anschließenden, erneuten
Aufstellung platziere ich mich in der nun frei gewordenen Mitte, mit
fast einem Meter Platz zu beiden Seiten. Das Startsignal erfolgt wenig
eindeutig, doch ich realisiere noch halbwegs schnell, dass ich nun
endlich schwimmen darf. Ohne Berührungen mit anderen Athleten geht es
für mich los. Schnell bemerke ich, dass ich gar nicht so weit hinten
platziert bin wie gedacht. Links neben mir erblicke ich Teamkollegen und
Über-Schwimmer Jakub, an dessen Füßen ich die restlichen 100m der 300m
bis zur ersten Boje verbringe. (https://www.instagram.com/p/BylPQRShghP/?igshid=1q71w4c2l8ynz)
Auch dort entgehe ich allem Gedränge, und kann ebenfalls einen
bekannten Schwimmstil vor mir ausmachen. Marek schwimmt direkt vor mir
auf Position 5/6, neben ihm Jakub. In dieser Formation legen wir die
restliche Schwimmstrecke zurück, bei dem hohen Tempo realisiere ich
nicht, dass sich hinter mir nur noch ein weiterer Athlet befindet bevor
uns eine große Lücke vom Hauptfeld trennt. Aus dem Wasser als Siebter
und durch einen schnellen Wechsel (https://www.instagram.com/p/ByKmDWnhpUY/?igshid=bf6tvghjdij9)
etwas weiter vorne kämpfe ich mich die lange Strecke zum Radaufstieg.
Erste Erleichterung macht sich dann auf dem Rad bei mir breit, war dies
doch mein bisher bestes Schwimmen gewesen und hatte ich es als letzter
in die Spitzengruppe geschafft. Unsere siebenköpfige Spitzengruppe mit
drei Friesen arbeitet gut zusammen, sodass wir den Vorsprung von 30
Sekunden nach der ersten Runde kontinuierlich ausbauen können. So gehen
wir mit fast 60 Sekunden Vorsprung auf das große Hauptfeld mit beinahe
allen Athleten, inklusive Jonas Repmann und Nils Dehne, auf die
Laufstrecke. Die fünf Radrunden waren recht hügelig und somit definitiv
nicht anspruchslos, was unserer Gruppe zu Gute kam. Nils beschrieb das
Gefühl, drei Teamkollegen vor sich in der Spitzengruppe zu sehen, als
sehr beruhigend. Beim Radabstieg können die Zuschauer, für die die
Strecke zur Wechselzone von den Ausrichtern als „sehr freundlich“
beschrieben wurde, dreimal Grün-Gold ganz vorne bestaunen, was Anton
Schiffer, der in der Spitzengruppe einen wichtigen Teil zur
Führungsarbeit beigetragen hatte, auf dem Weg zur Wechselzone zunichte
macht. Doch nach dem Wechsel befinde ich mich wieder auf Platz eins,
Marek auf Platz zwei und Jakub auf Platz drei. Hübsches Bild!
Jonas läuft auf Gesamtplatz 13 aus der Wechselzone, Nils folgt etwas dahinter.
Lange
laufen Marek, Jakub und ich dann auf den Plätzen 3,4,5. Schnell spüre
ich jedoch die wenigen Laufkilometer der letzten vier Wochen, kombiniert
mit bestimmt 800 Metern Barfuß-Laufen. Mein Knöchel beginnt zu pochen
und ich werde immer langsamer. Noch halte ich die Position bis auf der
letzten Runde die schnellen Läufer aus dem Hauptfeld vorbeilaufen. Als
Felix Nadeborn mit gefühlt doppelter Geschwindigkeit an mir vorbeizieht,
erkenne ich, dass es definitiv noch Einiges zu verlieren gibt. Vor mir
sehe ich jedoch mit Freuden, dass Marek endlich seine Top10 Platzierung
erreichen wird. Er kommt auf Position 9 ins Ziel, Jakub folgt dahinter
auf 10 und ich auf Position 11. Nils erreicht das Ziel als 39., Jonas
folgt nur wenige Plätze dahinter auf Platz 45.
Es gewann Anton Schiffer vor Valdemar Solok und Felix Nadeborn.
Im
Ziel ist Marek erleichtert, es endlich unter die ersten Zehn geschafft
zu haben, Jakub dagegen eher enttäuscht, nachdem er in Hannover hinter
Janne Büttel den zweiten Platz belegt und eigentlich mit dem Sieg
geliebäugelt hatte. Ich bin vor allem ordentlich kaputt: Nur vier Wochen
nach der Verletzung, beste Platzierung in meiner bisherigen Karriere in
der Liga, sowie ein sehr gutes Schwimmen können Einen aber wohl kaum
enttäuschen. Nils konnte seine Leistung von Hannover leicht verbessern,
identifizierte jedoch fleißig direkt im Nachzielbereich Punkte, an denen
noch gearbeitet werden kann. Währendessen stillte der Knödel seinen
Cola-Durst mit einer ganzen 1,5-Liter Flasche, anstelle eines mickrigen
Pappbechers wie die anderen Anfänger.
Nach kurzem Überschlagen ist klar, dass man das Ziel der Top5
definitiv erreicht hat. Später stellt sich heraus, dass dies auch ohne
meine Leistung erreicht worden wäre. Nach einigen Telefonaten mit den
Startern des Deutschlandcups in Jena sowie dort anwesendem Teamleiter
Hoffi sind wir neben unserem Ergebnis auch wegen der extrem starken
Leistungen der Berliner Athleten und Athletinnen in Feierlaune.
(Martha
Gastell gewann in der Jugend A, Janne belegte in derselben Altersklasse
bei den Jungen Platz drei. Helena Weinreich gewann in der Jugend B,
Lara Ungewickell landete bei den Juniorinnen auf Platz zwei.)
Für
uns ist es nun ein zweiter Platz in der Teamwertung für diesen
Wettkampf, aber aufgrund der Ergebnisse der anderen Teams sind wir nun
Tabellenführer, weshalb schon das ein oder andere mal „Spitzenreiter“ -
Schreie von unserer Seite aus zu hören sind.
Somit
konnten wir mit guter Laune den Geburtstag von Teammitglied Jakub
feiern, es gab überaus leckere Benjamin Blümchen Torte :-)
Für die nächsten beiden Ligarennen werden wir definitiv noch
einmal alles in die Waagschale werfen, ein gesetztes Ziel wurde von
Teamkapitän Marek bereits ausgerufen: mindestens 4 Athleten in einer
Spitzengruppe mit höchstens 10 Athleten.
Benedikt Bettin
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